Blick auf die ehemaligen Grenzanlagen von Bayern aus

Das damals geteilte Dorf Mödlareuth (auch "little Berlin" genannt)

Die selbe Stelle 30 Jahre später

Hoch zum Brocken im Harz

Ehemaliger Kolonnenweg im Harz

Point Alpha

Verlauf der Strecke von Hof zur Ostsee (Priwall)

Grenzen erfahren

Am 3. Oktober 1990 trat der Einigungsvertrag in Kraft, mit dem die frühere DDR der Bundesrepublik beitrat - damit war die Teilung Deutschlands nach 45 Jahren überwunden. 30 Jahre trennte der „Eiserne Vorhang“ Ost- und Westdeutschland.

Eine ganze Generation ist seitdem im wiedervereinten Deutschland aufgewachsen, die keine Erinnerungen mehr an die Teilung hat und nicht weiß, was Überwachungsstaat, die Einschränkung der Reisefreiheit und die Entwürdigung des Menschen durch den Menschen bedeuten.

Seit mehr als zehn Jahren beobachtet das Institut für Demoskopie Allensbach zudem, wie das Interesse der 14- bis 29-Jährigen an Politik, Wirtschaft und Geschichte mehr und mehr schwindet. Dies haben wir zum Anlass genommen, um mit dem Fahrrad die ehemalige innerdeutsche Grenze vom bayerischen Hof zur Ostsee im wahrsten Sinne des Wortes zu erfahren. 1400 km in 14 Tagen haben wir zurückgelegt und hierbei einen Blick in die Vergangenheit geworfen. Warum? Zum einen, um ein Zeichen für Einheit und gegen Politikverdrossenheit zu setzen und zu ehrenamtlichem Engagement aufzurufen. Und zum anderen um zum Spender für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) zu gewinnen.

So begann unsere Tour am 29.06.19 bei den Kollegen vom THW Hof in Bayern. Zur Zeit der Wende, als tausende Flüchtlinge aus der DDR nach Hof kamen, kochten die ehrenamtlichen Einsatzkräfte 30 Kubikmeter (!) Tee und bereiteten 15 000 Mahlzeiten zu. Gerhard vom THW Hof erinnert sich über die Unterstützung bei der Geld-Logistik (DDR-Bürger erhielten einen einmaligen Betrag von 100 DM, inflationsbedingt heute ca. 90 Euro): „Da wir aufgrund der Menschenmengen das viele Geld nicht mit dem Auto transportieren konnten, haben wir es in Plastiktüten getan und haben uns mit einigen hunderttausend DM dann zu Fuß auf den Weg gemacht.“

Unweit von Hof liegt das Dreiländereck. Ein scheinbar unbedeutender in den Bachlauf des Mühlbachs gesetzter Holzpflock kennzeichnet dort das Zusammentreffen von damaliger Bundesrepublik Deutschland, DDR und der Tschechoslowakei. Hier begann die ehemalige innerdeutsche Grenze. Nachts taghell erleuchtet und bewacht durch 40 000 Soldaten war sie allein dazu da, die Flucht von DDR-Bürgern in den Westen zu verhindern. Quer durch Deutschland entstand so eine fast überwindbare Barriere mit Stacheldraht, Minen und Todesstreifen, welche fast 800 Flüchtenden ihr Leben kostete und Unzählige ins Gefängnis brachte.
Von all dem erinnert heute nur noch wenig im ehemaligen Grenzgebiet, welches nun als „Grünes Band“ ein wertvolles 1400 km langes Naturschutzgebiet bildet.

Auf unserer Radtour durch Deutschland haben wir viele Menschen kennengelernt, Hilfsbereitschaft erfahren und viele kleine Highlights erlebt:

  • Pfarrer, Kollegen von Feuerwehr, THW und DRK vertrauten ohne uns zu kennen den Schlüssel für ihre Unterkunft zum Übernachten an. Die Kollegen der Freiwilligen Feuerwehr Walkenried, die einen 19-Jährigen an Blutkrebs erkrankten Kameraden verloren hatten, luden uns zu ihrem Ausbildungsdienst und anschließendem Zusammentreffen ein und bezahlten uns den Zeltplatz.
     
  • Kathrin, die alleine die einsam gelegene Villa Wendland, eine Gästepension in der Nähe von Wustrow, betreibt. Auf ihrem Hof leben neben einer schwarzen Katze auch eine Pfauenfamilie mit Nachwuchs. Kathrins Mutter ist schwer erkrankt und trotz der vielen Arbeit gewährte sie uns kostenfrei Unterkunft. Gemeinsam haben wir in ihrer rustikalen Küche gekocht: „Ich möchte nichts von euch, das Essen war Bezahlung genug“.
     
  • Und da war der ältere Herr, den unser am Fahrrad angebrachtes Schild neugierig machte. Als Fernfahrer war es ihm damals erlaubt, nach Westdeutschland zu fahren. Immer wollte er dort seinen Vater, der ohne Familie in den Westen flüchtete, im Ruhrgebiet besuchen. Leider habe dieser aber den Kontakt zur Familie abgebrochen. Besonders tragisch: Am Todestag seines Vaters nach der Wende wurde er arbeitslos.

Wir sind durch viele verlassen scheinenden Dörfer – fast jedes hat eine Kirche – gefahren und dort kaum jemanden begegnet. Auch viele Landstraßen hatten wir für uns alleine. Mobilfunkempfang? Sehr oft nicht vorhanden.

Auch in Erinnerung bleibt die Gastwirtin aus einem 200-Seelen-Ort, deren Biergarten wir über die Mittagszeit für uns alleine hatten. Immer wieder ging sie zur Straße, um nach dem Rest von uns Ausschau zu halten, damit sie allen gleichzeitig das Essen servieren konnte. Und dies alles eingerahmt in eine unberührte Landschaft - dort, wo noch vor 30 Jahren eine Grenzanlage in ihrer Brutalität Landschaft, Dörfer und menschliche Beziehungen zerschnitt: „Nirgendwo sonst in der Welt gibt es eine Grenze, die so verschiedene Welten voneinander trennt, nirgendwo spielt es eine so entscheidende Rolle, ob man 100 Meter weiter rechts oder links geboren wird“, sagte Marion Gräfin Dönhoff, Chefredakteurin und Mitherausgeberin der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT, dazu.

„Die Radtour war für alle Beteiligten eine besondere zeitgeschichtliche Erfahrung. Durch die Berichte war ich selbst virtuell und in meinen Gedanken dabei. Es wurde bei der Reise deutlich, dass wir über die deutsch-deutsche Geschichte und die Aufarbeitung der menschenverachtenden DDR-Diktatur mit vielen Toten auch an der innerdeutschen Grenze kein Gras wachsen lassen dürfen, auch wenn sich die Natur die Grenzsperranlagen zurückholt“, sagt Dr. Christian Jung, Mitglied des Deutschen Bundestages, der die Schirmherrschaft für die Tour übernommen hatte.

All dies 30 Jahre nach dem Fall der Mauer im wahrsten Sinne des Wortes zu erfahren und sich bewusst zu machen, jetzt in einem freien Europa leben zu dürfen, ist das eigentliche Highlight. Und zeigt, dass Demokratie kein Selbstläufer ist und täglich bewahrt werden muss; dass ein freies Europa hart erkämpft wurde. Dass ein Staat nur funktioniert, wenn seine Bürgerinnen und Bürger nicht nur erwarten, sondern aktiv mitdenken, sich einbringen, Verantwortung übernehmen und gestalten. Zum Beispiel durch ehrenamtliches Engagement bei uns oder in einer der vielen anderen Einsatzorganisationen: Helfen kann jeder!

In diesem Sinne: genießt den Tag der Einheit!