Zurück aus dem Ebola-Gebiet

Anna Schlatter ist ehrenamtlich seit vier Jahren beim THW-Ortsverband Karlsruhe aktiv. Über Weihnachten 2014 war sie im Auslandseinsatz in Sierra Leone – dort engagiert sich seit Mitte September 2014 das THW im Auftrag der Bundesregierung im Kampf gegen Ebola. Nach einem Jahrzehnt blutigen Bürgerkrieges, der mehr als 50 000 Todesopfer forderte, verschlimmerte sich die humanitäre Krise im letzten Jahr durch den Ausbruch der Ebola-Fiber-Epidemie. Annas Auftrag war es, technisch-logistische Unterstützung für den internationalen Hilfseinsatz zu leisten. Einsätze dieser Art stellen Hilfskräfte und ihr persönliches Umfeld vor besondere Anforderungen. Wir haben mit Anna (25) – im Berufsleben ist sie Industriemechanikerin – über den Einsatz und ihre dortigen Eindrücke gesprochen.

THW-OV Karlsruhe: Die Zahl der Ebola-Neuinfektionen in Sierra Leone geht zwar zurück, aber von einer Entspannung der Situation kann leider immer noch nicht die Rede sein. Die Zahl der Infizierten in Sierra Leone, Liberia und Guinea bezifferte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Jahresbeginn mit mehr als 20 600. Das Ebola-Fieber verläuft in etwa 25 bis 90 Prozent aller Fälle tödlich. Wie wurdest Du auf Deinen Einsatz vorbereitet?

Anna Schlatter: Zuerst habe ich den einwöchigen THW-Kurs Einsatzgrundlagen Ausland – die Feuerprobe für jene, die sich für Auslandseinsätze beworben haben – besucht. Kurz vor dem Abflug ins Krisengebiet wurden wir dann noch in mehreren eintägigen Veranstaltungen auf die Gefahren der Epidemie, u. a. durch Experten des Robert-Koch-Instituts, vorbereitet: Wie legt man einen Schutzanzug richtig an? Was ist bei der Wiedereinreise nach Deutschland zu tun? Was muss man beachten, wenn es einem Team-Mitglied gesundheitlich plötzlich schlecht geht? Solche und viele weitere Aspekte wurden behandelt.

Für die Ansteckung mit hämorrhagischem Fieber sind bereits nur ein bis zehn Viruspartikeln erforderlich – bei Milzbrand sind es zum Vergleich dagegen 8 000 bis 50 000 Sporen. Hattest Du nicht Angst, angesteckt zu werden?
Nein. Mit Infizierten bin ich selber nicht direkt in Kontakt gekommen. Und jeder, der selber noch gehen kann und sich normal verhält, ist nicht gefährlich: Für eine Ansteckungsgefahr müssen erst die Ebola-typischen Symptome ausgeprägt sein. Ebola-Patienten leiden dann schlagartig unter Fieber und Muskelschmerzen und fühlen rasch derart kraftlos, dass sie sich nicht mehr bewegen können. Ihr Tod tritt in der Regel innerhalb von 24 Stunden bis wenigen Tagen ein. Vorsichtshalber hatten wir eine strikte No-Touch-Policy befolgt, also uns nicht die Hand gegeben, selbst unter Kollegen nicht. Über die Haut selber wird das Virus nicht übertragen, nur über Wunden, Augen und Schleimhäute. Daher vermeidet man es tunlichst, selbst bei Tagestemperaturen um die 40 Grad sich den Schweiß mit der Hand von der Stirn zu wischen.

Was waren in den vier Wochen in Afrika Deine Aufgaben?
Schwerpunkt war die technische Unterstützung von sogenannten Intensive-Care-Center (ICC), das sind Behandlungszentren für Schwersterkrankte. Unter anderem haben wir für diese 30-kVA-Netzersatzanlagen gewartet und repariert. Aber auch der Aufbau von Fahrzeug-Desinfektionsanlagen und die Wartung von Fahrzeugen der Angehörigen anderer Hilfsorganisationen, Krankenwägen und Transportern zählten zu den täglichen Aufgaben. Ich war in einem Zweier-Team von ehrenamtlichen THW-Einsatzkräften aus Deutschland in Makeni; vier weitere THW-Einsatzkräfte hatten ihre Basis in Freetown. Unterstützt wurden wir von drei einheimischen Mechanikern, zwei Fahrern und neun Berufsschülern.

Wie seid Ihr auf diese gekommen?
Vor uns war ein Erkundungsteam des THW vor Ort und hat zufällig Kontakt mit einer Berufsschule für Kraftfahrzeugmechaniker knüpfen können. Von diesen haben dann rund zehn 19- bis 27-Jährige ihre Hilfe angeboten.

Wie gingen diese Menschen vor Ort mit der aktuellen Situation um – wie sahen sie ihre Zukunft?
Die Grundstimmung in Makeni – hier hatten wir unseren zentralen Stützpunkt aufgebaut, mitten im Ebola-Gebiet, eben dort, wo man gebraucht wird – war gelassen. Panik war nicht zu spüren. Das hat sich auch positiv auf unser Team ausgewirkt. Angst hatten die Bewohner jedoch vor der Zukunft: Was passiert, wenn die Epidemie abflaut und die durch die Hilfsorganisationen entstandenen Arbeitsplätze wieder wegfallen und die Unterstützung aus dem Ausland ausbleibt? Sierra Leone gehört zu den ärmsten Länder der Welt – die ehemalige britische Kolonie belegt seit Jahren den letzten Platz auf der Liste des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, gleichbedeutend mit dem Status des am wenigsten entwickelten von 179 untersuchten Ländern.

Was waren Deine prägendsten Erlebnisse, die Du mit nach Hause nach Deutschland genommen hast?
Anna (denkt länger nach): Die Gelassenheit der Menschen dort habe ich bewundert. Dass man selbst in so einer kritischen Lage ruhig bleiben kann. Einige der Berufsschüler im Team wurden im Bürgerkrieg zu Kindersoldaten zwangsverpflichtet und erhielten für jeden Menschen, den sie getötet hatten, als ‚Belohnung‘ einen Ritzer in ihre Haut, sogenannte ‚Kills‘: Narben, die man heute noch sieht. Und da waren noch Mütter, die ihre an Ebola erkrankten Säuglinge und Kinder im freien Feld zum Sterben aussetzten, nur um ihre Familie vor Ansteckung zu bewahren! All diese Menschen haben einen unglaublichen Selbstschutz entwickelt. Wir in Deutschland dagegen dramatisieren Dinge gerne gleich.

Und die prägendsten Erlebnisse mit deinen einheimischen Kollegen im Team?
Wir fuhren von unserem Stützpunkt vom Landesinneren an die Küste nach Tuhke – dort haben wir ein Notstromaggregat instand gesetzt. Der Ort liegt direkt am Atlantischen Ozean, wo wir dann auch Mittagspause gemacht haben. Begleitet hat mich Isathu. Bereits mit zwölf Jahren wurde sie mit einem 40-Jährigen verheiratet. Sie ist jetzt Witwe und hat drei Kinder, von denen zwei bei ihrem Onkel wohnen müssen, da sie selber kein Einkommen hat. Mit 27 Jahren hat sie da zum ersten Mal das Meer gesehen. „Wie breit ist dieser Fluss?“, fragte sie mich und ich habe versucht ihr zu erklären, dass es das Meer ist, welches vor ihr liegt. Das war für sie unbegreiflich. Schweigend haben wir einige Zeit im Sand gesessen und auf die Weite des Ozeans geblickt. Als ich mir die Schuhe auszog, um ein wenig ins Wasser zu gehen, bat sie mich das nicht zu tun, es war ihr einfach wohl nicht geheuer. Bevor wir dann weitergefahren sind, wollte sie aber doch nochmal anhalten und zurückgehen, „um dem Wasser Tschüss zu sagen“. Angefasst hat sie es aber auch da nicht. Auf der weiteren Fahrt wussten wir beide, dass es vermutlich das erste und einzige Mal sein würde, dass sie am Meer war. Wie sie leben 70 % der Bevölkerung in extremer Armut. Mit weniger als einem US-Dollar am Tag Auskommen ist an Reisen, geschweige denn den Besuch ihrer beiden Kinder, nicht zu denken.

Hat sich Dein Leben aufgrund des Einsatzes geändert, wenn ja, in wie fern?
Die vier Wochen vor Ort waren zu kurz und zu arbeitsreich, um das Elend vor Ort zu nah an sich herankommen zu lassen – im Nachhinein erscheint die dortige Zeit aber im Kontrast zum Leben in Deutschland surreal angesichts des Erlebten. Das Leben nehme ich hier vielleicht nun intensiver wahr.

Einige aus dem Ebola-Gebiet zurückkehrende Einsatzkräfte wurden stigmatisiert – man blieb zu ihnen aus Angst vor Ansteckung auf Distanz. Wie ging es Dir?
Im Allgemeinen beträgt die Inkubationszeit 21 Tage. Innerhalb dieses Zeitraumes nach der Rückkehr misst man drei Mal täglich Fieber und führt Buch, mit wem man am Tag Kontakt hatte. Bei ersten Symptomen wäre man sofort unter Quarantäne gestellt worden und hätte dabei laut Infektionsschutzgesetz sogar eine Einschränkung seines Grundrechtes auf Freiheit akzeptieren müssen. Ich habe mich vor dem Einsatz mit meiner Familie, meinen Freunden und den Kollegen zusammengesetzt und erklärt, welche Maßnahmen in welchem Fall greifen würden. Somit war jeder gut informiert. Nach der Rückkehr ist mir dann auch niemand mit Vorbehalten oder Sorgen begegnet.

Würdest Du nochmals einen Auslandseinsatz mitmachen?
Auf jeden Fall. Man kann etwas Gutes tun und lernt auch zu schätzen, wie gut es uns hier in Deutschland geht.