Was war. Was wird.

Ausgedient wird sie nach fast 50 Jahren haben: die Wehrpflicht. Und mit ihr wird auch eine bis dato stets verlässliche Quelle für Personalnachschub versiegen, über die Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz, also auch wir, das THW, bisher den Hauptteil unseres Personals verschafft haben.

Aber sind wir doch ehrlich: Die Aussetzung der Wehrpflicht ist angesichts der schon lange nicht mehr bestehenden Wehrgerechtigkeit und geänderter sicherheitspolitischer Lage längst überfällig geworden und die Wehrpflicht im Zeitalter eines vereinten Europa wohl auch nicht mehr begründbar.

Mit dem Wegfall des Wehrdienstes wird jedoch automatisch auch der Wehrersatzdienst Geschichte sein, den junge Männer in Altenheimen, Krankenhäusern, beim Rettungsdienst, oder der Feuerwehr und dem THW mit einer Verpflichtungszeit von anfangs zehn, dann acht, und jetzt vier Jahren, ableisten konnten. Die kommende Aussetzung der Wehrpflicht wird daher nicht nur die Bundeswehr in ihrer Struktur und gesellschaftlichen Stellung verändern - auch humanitäre Hilfsorganisationen, in welchen sich deutschlandweit noch rund 1,7 Mio. Menschen engagieren und in denen Wehrersatzdienstleistende zum maßgeblichen Teil der Personaldecke beitragen, müssen sich auf die geänderte Situation einstellen. Auch wir: Als Hilfsorganisation des Bundes mit rund 80.000 freiwilligen Helfern und ca. 850 hauptamtlichen Mitarbeitern stehen wir vor demselben Problem der Nachwuchsgewinnung wie viele andere Hilfsorganisationen, Vereine, karitative und kirchliche Einrichtungen auch.

Wie geht es nun weiter? Wird mit dem Wegfall und der unvorteilhaften demografischen Entwicklung es in absehbarer Zeit schwierig sein, im Beruf stehende Menschen im Umfeld einer schnelllebigen Gesellschaft, die immer mehr Flexibilität und Mobilität erfordert, zu begeistern, sich langfristig an eine Hilfsorganisation zu binden und das wertvolle Gut "Freizeit" zu opfern?

Während sich die verteidigungspolitische Lage entspannt hat, konnte in den letzten zehn Jahren eine Verdoppelung der durch Naturkatastrophen hervorgerufenen Schäden im Zeichen des Klimawandels beobachtet werden. Zuletzt wurden Warnungen vor terroristischen Bedrohungsszenarien in Deutschland in bis dato nicht dagewesener Form laut.

In zahlreichen Umstrukturierungen befreite sich das THW bisher zwar vom Charakter eines Kriegswartevereins, jedoch wurde der schleichende Personal- und Ressourcenrückbau dabei nicht aufgehalten. Waren bei meinem Eintritt ins THW Karlsruhe vor nun 20 Jahren damals noch über 200 fast ausschließlich aus Wehrersatzdienstleistenden bestehenden Mitglieder dabei, hat sich der Kreis der aktiv Mitwirkenden inzwischen auf ca. 70 reduziert.

Mit dem Wegfall der Wehrpflicht werden wir hoffentlich nur wenige aktive Unterstützer von heute auf morgen verlieren. Unsere Handlungsfähigkeit wird dies jedoch noch nicht gefährden: Erfreulicherweise hat der Anteil an Menschen, die sich freiwillig zum Mitmachen beim THW Karlsruhe melden oder ehemaliger Wehrersatzdienstleistende, die nach Beendigung ihrer Verpflichtungszeit dem THW treu geblieben sind, nämlich in den letzten Jahren stark zugenommen. Vielleicht deshalb, weil in letzter Zeit angesichts vieler Einsätze im In- und Ausland endlich ein Sinn in unserer Aufgabe zu sehen ist und sich mehr Menschen mit der Organisation identifizieren als dass dies zuvor der Fall gewesen ist. Das überdurchschnittliche unermüdliche Engagement, wie das unseres Zugführers Jakobus von Geymüller, der nicht nur letztes Jahr an die 1000 Stunden ohne Gegenleistung u. a. in die Organisation von Ausbildungsveranstaltungen investiert hat, hat ebenfalls einen großen Beitrag zum Zusammenhalt geleistet. Der Wegfall der Wehrpflicht stellt demnach (für sich gesehen) noch kein Menetekel dar.

Aber: Ehrenamtliches Engagement alleine reicht nicht aus, um Nachhaltigkeit zu schaffen - zu groß ist die Perspektivlosigkeit der Politik hinsichtlich des Umgangs mit zukünftigen Gefahrensituationen: Mit einem Jahresetat von nur 180 Millionen Euro für eine bundesweit von 99,9% ehrenamtlichen THW-Mitarbeitern getragene Organisation muss ein Großteil von immer mehr Standardaufgaben, wie Ausbildung, Materialwartung und -Materialprüfung und -Erhaltung vom Ehrenamt getragen werden. Früher wurde dies dem Ehrenamt in Rundum-Sorglos-Paketen durch staatliche Zentralwerkstätten abgenommen. Auch der zeitliche Aufwand zur Werbung von Nachwuchs ist enorm und obliegt mehr oder weniger dem Ehrenamt selber. Durch Einsparmaßnahmen entstehenden Hohlräume können jedoch langfristig keinen Anreiz für nachhaltiges Engagement schaffen. Der Soziologe Wolfgang Engler schreibt in seinem Buch „Bürger, ohne Arbeit“: „Soziales Kapital wird in der Lebenswelt gebildet, bleibt an soziale, rechtliche, infrastrukturelle Rahmenbedingungen gebunden [...] Wo der Staat sozial abrüstet, abdankt, entfernen und entfremden sich die Menschen voneinander, [...] schläft ihr sozialer Sinn unwiderruflich ein.“ Stillschweigend wurden seitens der Politik ehrenamtlich tätige Einsatzkräfte aller Hilfsorganisationen jedoch bereits längst als Aktivposten der Sicherheitsarchitektur eingeplant. Leider wird dabei vergessen, dass diese im Gegenzug der Gesellschaft durch ihre Bereitschaft, bei der Bewältigung von Unglücksfällen mitzuwirken, einen nicht unerheblichen geldwerten Vorteil darstellen - schließlich muss der Staat hauptamtliche Kräfte für solche Aufgaben nicht vorhalten und finanzieren. Dabei werden Aufgaben und Anforderungen zunehmend komplexer. Das Regelwerk an Vorschriften und Anleitungen ist fast unüberschaubar geworden. In diesem Sinne möge die Politik auch in Zeiten knapper Etats bewerten, was ehrenamtlich tätige Hilfsorganisationen der Gesellschaft wert sind und welche Möglichkeiten die Politik im Sinne der Schaffung von Nachhaltigkeit im Gegenzug erbringen kann - auch wenn wir als THW im Inland in der Regel "nur" dann zum Einsatz kommen, wenn andere an ihre Grenzen stoßen. Kurzum: Was sind der Gesellschaft qualitativ hochwertige (redundante) Ressourcen zur Wahrung des flüchtigen Gutes „Sicherheit“ zukünftig wert und wie kann ihr Fortbestand nachhaltig ohne ihres derzeitigen Auf-sich-selbst-gestellt-Seins gesichert werden?

Was das Asset "Personal" anbetrifft: Ein von einigen gefordertes soziales Pflichtjahr, in dem junge Menschen in karitativen, kommunalen oder militärischem Bereich eingesetzt werden, mit dem Ziel, sie gegebenenfalls auch langfristig zu halten, ist keine Lösung in vielerlei Hinsicht: Erstens, weil juristisch umstritten, da eine solche Verpflichtung einem völkerrechtlichen Verbot der Erbringung unbezahlter Arbeit entgegenstehen kann. Zweitens, weil wirtschaftlich betrachtet, unsinnig, da sich der Berufseintritt junger Menschen um ein Jahr zum Nachteil von Beitrags- und Steuerzahlungen verschiebt. Drittens, weil Zwangsmaßnahmen, die nach Dritter-Reich-Vergangenheit schmecken, keine effektive Form der Mitarbeitergewinnung darstellen. Zudem besteht der Aufgabenschwerpunkt einer Hilfsorganisation auch nicht darin, den unvermeidbaren Anteil antriebsloser Zwangsverpflichteter einen womöglich von Haus aus fehlenden Basissatz an Sozialkompetenz und Grenzerkennung zu vermitteln. Zudem haben wir nicht die Möglichkeit, eine Ausbildung während der üblichen Arbeitszeiten anzubieten.

Deshalb bleibt allen nur die eine Möglichkeit übrig: Locken statt zu zwingen und eine Plattform mit einem fundierten und nachhaltig strukturierten Rahmenwerk zu bieten, auf der sich die Menschen wohl fühlen, Sinn in ihrer Aufgabe sehen, in einer Art „großen Familie“ Zusammenhalt finden und deshalb dabei sind und bleiben. Und Mitmacher durch Mundpropaganda gewinnen.

Der Abschlussbericht der Enquetekommission zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements aus dem Jahr 2002 besagt übrigens, dass es nicht mehr darum geht, „ausschließlich altruistisch etwas für die Gesellschaft zu tun“. Meist liege eine „doppelte Motivation vor: Eigeninteresse und Interesse, für die Gesellschaft etwas Sinnvolles zu leisten.“  In diesem Sinne werden wir unabhängig von der unbeantworteten Frage der Nachhaltigkeit in THW-Jugend und Aktivendienst weiterhin viel Spaß haben, die Gemeinschaft der THW-Familie genießen und für einen interessanten und praxisorientierten Dienstablauf sorgen. Mitmachen bei uns (und jeder anderen Hilfsorganisation) kann übrigens jeder.